Arctus
rctus
schüttelte den Schleier vor seinen Augen weg. Unendlich lange sann
er in der Vergangenheit, in seiner kleiner Reise und dem Gespräch,
dem er zu Teil geworden war.
Arctus fasste sich und begann nun langsam zu sprechen, "heißt
es etwa, wenn man bei dir Lehrling ist, dass man in Zucht und Ordnung,
ohne Versuchung leben soll? Wenn es so ist, glaube ich, bin ich im Flaschen
Kloster. Ich wollte zu den Schwarzmagiern!"
Der Junge sog scharf die Luft ein. Hoffentlich war das nicht zu viel
des Guten gewesen. Es war auf jeden Fall kein Grund, warum ihn der Don
weiter lehren solle. Arctus wusste einen sehr triftigen Grund, der Grund,
der ihn wohl zu dem allem antrieb. Er setzte an zum Sprechen, öffnete
bereits den Mund, hielt jedoch inne. Etwas hinderte ihn. Er hatte mit
niemand und wirklich niemandem darüber geredet.
Sollte er gerade dem, der ihn in letzter Zeit striezte, sein Geheimnis
anvertrauen. Würde er es überhaupt glauben? Er hatte gerochen,
dass Arctus Alkohol getrunken hatte. Er wusste, dass er vielleicht nicht
ganz bei Sinnen war. Arctus war in einer Zwickmühle, wusste nicht,
was er tun sollte. Er ließ sich gegen die Wand fallen, rutschte
an ihr herunter und zog die Knie fest an seinen Körper, ließ
den Blick ins Leere streifen. "Kennst du die Kore?"
Der Don reagierte erst nicht. Er musste gar nicht reagieren. Arctus
hatte begonnen zu erzählen, stoppen könnte er jetzt auf keinen
Fall mehr. "Sie hat mich hinuntergebracht und dort alleine gelassen,
in der anderen Welt. Seiner Welt!" Arctus räusperte sich.
Bilder der Vergangenheit huschten vor seinem Auge auf und ab. "Ich
habe dort seltsame Dinge gesehen. Und auch mit ihm gesprochen."
Er ging davon aus, dass der Don wusste, wen er mit er meinte. "Er
sagte mir, dass ich die Magie erlernen solle. Er selbst. Wenn das nichts
heißen soll!" Arctus blickte nun wieder auf. Vollkommen klar
schien sein Blick zu sein, der sich geradewegs auf des Don's Gesicht
richtete.
Don-Esteban
er Don
hatte zugehört, zuerst ungläubig, dann ärgerlich.
"Was soll das Gefasel? Niemals redet Er mit einem von uns. Nicht
mit dir, nicht mit mir und nicht mit irgendeinem anderen. Warum sollte
Er?" Und leiser fuhr er fort, "Möglich, dass du dort
warst, dass jemand mit dir gesprochen hat, dass du das Gefühl bekommen
hast, einen Auftrag zu erhalten. Doch es war nicht Er."
Er machte eine Pause. Sein Blick glitt in die Ferne, so als ob gar keine
Wand da wäre und man bis in die Unendlichkeit schauen konnte. "Ja,
viele von uns wünschen sich, dass sie erhört werden, dass
ihnen gesagt wird, ob ihr Tun richtig und gottgefällig ist, ob
sie Seine Aufmerksamkeit erregen und Ihn erfreuen."
Redete er noch mit Arctus, oder redete er von sich selbst, zu sich selbst?
"Wie oft wird er angefleht, wie oft wird er um Hilfe gebeten, um
Erleuchtung, um Erklärung. Wir alle sind nur verzweifelte, blinde
Wanderer, die umhertorkeln und sich an allem Festhalten, was sie finden,
voller Zweifel, ob sie das, was sie in den Händen halten, für
etwas ungewisses wieder aufgeben sollen."
Der Hohepriester lehnte an einer der rußbeschmierten Wände.
"Wie oft, wie oft hätte ich gewünscht, ein Zeichen käme,
eine Erklärung, irgendetwas." Er dachte an all die Jahre,
die Zeit in der Barriere, die Erkenntnis, als Schwarzmagier die Erfüllung
zu finden, die ständigen Zweifel am gewählten Weg, das Zaudern,
das Abwägen, all die Unwägbarkeiten. Er dachte an die vielen
Gefahren, denen er bislang ausgesetzt gewesen war. Dienten sie nicht
alle dazu, ihm seinen Weg aufzuzeigen?
Und jetzt eröffnete ihm dieser kleine, nervende Bursche, ein halbes
Kind noch, dass ihm angeblich Beliar höchstpersönlich erzählt
hatte, was er mit seinem Leben bitteschön anzustellen hätte?
Es war ... ernüchternd. Wie ein Keulenschlag, eine plötzliche
Erkenntnis die einen in tiefer Verzweiflung zurückließ.
Er atmete tief durch, fasste sich äußerlich. Dann sah er
Arctus unverwandt an. "Weißt du eigentlich, was du da sagst?
Viele Menschen suchen ein Leben lang nach einem Sinn. Und zwar vergeblich."
Er schüttelte mit dem Kopf. "Du hast das, was viele niemals
erhalten. Du hast etwas, woran du glauben, an dem du festhalten kannst,
ohne das es ständig in Frage gestellt wird. Du hast das, wofür
andere Jahre ihres Lebens hingeben würden. Warum bereitet es dir
trotzdem noch so viel Mühe, diesen dir vorgegebenen Weg zu folgen?"
Und leise murmelnd sprach er zu sich selber "Oh Beliar, warum bürdest
du mir diesen Tunichtgut auf. Warum er?"
Laut sagte er: "Deine Ausbildung wird wie geplant stattfinden.
Doch nicht heute. Du lernst morgen weiter. Und glaub ja nicht, dass
ich dir soetwas wie heute noch einmal durchgehen lasse."
Arctus
"erdammt
noch mal ich habe geübt! Ich habe geschuftet und diese verfluchte
Rune zum Kochen gerbacht! Was willst du denn noch? Was bei Beliar?",
Arctus stand mittlerweile wieder auf den Beinen, sah in die wechselnde
Miene des Dons und verstand ihn so ganz und gar nicht. Der junge, wenn
es nach dem Don ginge, Möchtegern-Magier ging zu einer der spitzen
Zacken, die leicht blau leuchtete.
"Siehst du, ich habe geübt. Mir ist halt nur einer daneben
gegangen. Ich bin doch nicht perfekt." Arctus Herz schlug schneller.
Er hatte immer noch zu viel Respekt vor diesem Erwachsenen, als dass
das alles ohne eine Spur von Adrenalin an ihm vorbei ging. Arctus Trunkenheit
war hinfort. Normalerweise verschwand so was durch einen tiefen festen
Schlaf, bei ihm hingegen durch Streit. Streit mit diesem Meister, der
seine Vergangenheit auf ihn schob.
"Außerdem ist alles wahr wovon ich rede. Wenn du mir nicht
glauben willst, toll." Der junge Mann lehnte sich mit der Schulter
an eine der Wände, sah entschlossen zu Boden und eine kleine Ewigkeit
herrschte ein ungemütliches Schweigen zwischen den Beiden. Arctus
war wieder ein Argument eingefallen, unterbrach die Stille mit einem
grimmigen Murmeln, "ich bin noch ein Mensch; tue Sachen die mir
Spaß machen!" Das Schweigen setzte sich fort. Arctus wurde
nervös.
Ihm gefiel die Situation, die gerade herrschte ganz und gar nicht. Lieber
sollte er brüllen oder irgendetwas machen, aber nicht schweigen,
nichts machen. Er schnaufte laut, bückte sich um seine Rune der
Schattenflamme aufzuheben und schritt dann geschwind an Don-Esteban
vorbei.
Ein grimmiges "man sieht sich", rief er noch, dann war er
verschwunden.
Arctus
nders
als so viele Magier, stand Arctus außerhalb des Kastells, in der
Nähe des großen Sees beim schwarzen Troll. Natürlich
nicht direkt neben ihm. Nein, eher unten, bei den Lurkern und Stechfliegen.
Nicht die kleinen, sondern die großen, die, die Arctus überhaupt
nicht leiden konnte, weil sie stechen konnten und zumal so groß
waren.
Surrend zogen die Viecher ihre Bahnen, immer hin und her, weiß
Belia,r was sie damit bezwecken mögen. Arctus wünschte sich,
sie würden einmal still halten. Sie störten seine Konzentration
und gaben somit auch keine guten Ziele.
Schon zum dritten mal begann er die nervenaufreibende Prozedur der Beschwörung
der Schattenflamme von vorn, nur weil so ein fliegendes Ungetüm
aus seiner Reichweite schwirrte. Er müsste die Beschwörung
während des Gehens oder Rennens beherrschen. Das wäre mal
ein ordentlicher Fortschritt. "Nun gut", sprach er, setzte
ein weiteres mal an. Es konnte ihn nur voran bringen. Die Magie begann
sich in seinem Inneren zu Formen, schwamm durch seine Hand in die Schattenflammenrune,
die den ganzen Spuk auf der anderen Handfläche manifestierte und
wachsen ließ. Arctus betrachtete sein Ziel, folgte jeder einzelnen
Bewegung genauestens um den nächstmöglichen Knick im Flug
herauszufinden.
"Da", schrie er, während er sein Geschoss fliegen ließ,
auf die fliegende Fliege mit dem Stachel, die dem Ganzen mit gleich
zwei Hacken auswich und sich etwas erzürnt zu dem kleinen Jungen
drehte.
Arctus schluckte. Das Surren der Flügel kam näher, auch ein
leichtes Fauchen.
Der Magier nahm die Beine in die Hand und lief hinfort den Weg zum Kastell
hinauf, stolperte jedoch über eine Wurzel. Der Staub des Bodens
wirbelte auf, als sein schmächtiger Körper auf den Grund fiel,
jedoch mit Glück, beinahe wäre er auf einem Stein gelandet.
Stein? Arctus grinste. Seine Rechte packte die Waffe und noch ehe die
Fliege zustechen konnte schleuderte er ihr gerade diesen Stein entgegen.
Natürlich verfehlte er, setzte jedoch mit Plan B nach. In Windeseile
beschwor er eine weitere Schattenflamme, und traf tatsächlich einen
Flügel der großen Fliege.
Arctus atmete auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe
er sich aufrappelte. Lachend trat er an den verwundeten Feind, sah von
oben auf ihn herab.
"Jetzt haben sich die Seiten gewendet! Doch ich will dich nicht
töten!" die Blutfliege zu töten währe wohl das beste
gewesen. Wie soll sie in der Wildnis mit nur einem Flügel und Brandwunden
überleben? "Ich werde mit der nach olirieschen Art verfahren."
Arctus hatte die Kunst des Sezierens lange nicht mehr praktiziert. Er
sollte sein einstiges Hobby mal wieder aufnehmen ... obwohl.
Da war ja noch diese Furie von einem Lehrmeister. Der hat bestimmt etwas
gegen Privatleben und Freizeitaktivitäten. Freizeit, das Wort kannte
der grauhaarige Alte bestimmt nicht mal. Arctus warf die Idee hinfort.
Vielleicht hatte olirie trotzdem Verwendung für das Getier. Arctus
sah bereits Licht brennen in seinem Labor. Der Meister praktizierte
wohl grade wieder diese Kunst der Wissenschaft mit Tieren und anderen
Lebewesen. Vielleicht freut er sich ja über das Präsent?
Arctus hob die Schultern. Und wenn nicht, hätte er sicherlich noch
Platz in einem von seinen tausend Gefäßen, die über
das ganze Labor verteilt waren. Behutsam nährte er sich einem Seitentisch.
Er sah, dass der Meister grade beschäftigt war, wollte keine Aufmerksamkeit
auf sich richten. So vorsichtig und leise wie möglich legte er
das noch halb lebende Getier auf den Tisch und verschwand dann auch
ganz schnell wieder aus dem Labor.
Irgendetwas hatte gequiekt. Irgendwie hatte diese Blutfliege eine Erinnerung
in ihm geweckt. Eine Erinnerung an ein Buch, eher dessen Inhaltsverzeichnisse.
Im war, als wäre sie darin enthalten gewesen. Der Intuition nachgehend,
hatte er sich gleich in die Bibliothek begeben und auf dem Fensterbrett
nach seinem Buch geschaut und fürwahr, das dritte Kapitel hatte
wirklich etwas mit Blutfliegen zu tun. Geschwind leckte er sich den
Daumen an und blätterte zur dreihundert und dreizehnten Seite um
dort in großen fetten Lettern die Überschrift "Manifestierung
einer Blutfliege aus einer anderen Ebene" zu lesen.
Arctus lächelte. "Endlich mal was mit beschwören",
sprach er laut vor sich her und stürzte sich geradezu auf diesen
Teil des Buches.
Arctus
ie langen
Ausschweifungen des Autors machten Arctus Augenlieder schwerer und schwerer.
Nur mit Mühe und Not konnte er dem Buchstabenverlauf folgen und
ab und zu merkte er sich sogar ein paar Passagen des langwierigen Textes.
Glücklicherweise befanden sich noch einige Andere in der Bibliothek,
die durch ihre Geräusche den Jungen vor dem Einschlafen retteten.
Mit einem Krach landete die Lektüre in einer Ecke. Arctus hatte
genug, die Nase voll von dem Ganzen "... und deshalb empfehle ich,
so wie es auch schon meine Frau getan hat und mein Großvater und
Großgroßvater, nehme einen Schluck Wasser, bevor du dich
dem Zauber zuwendest."
Er versuchte sich den schläfrigen Schleier aus dem Kopf zu schütteln
und verließ dann die Bibliothek augenblicklich. Er hatte den ganzen
Mist ja auch noch aus eigenen Stücken gelesen, nicht zu fassen.
Arctus trat gegen eine Wand.
Verschwendete Zeit für ihn, in der er hätte ein paar Schattenflammen
um sich schmeißen können oder ein paar Bier heben können.
Arctus lachte plötzlich aus heiterem Himmel laut auf, bei dem Gedanken.
Mit einem frechen Grinsen im Gesicht kniff er der Steinstatue noch einmal
in die Nase und verließ dann im Hopserlauf das Kastell der Schwarzmagier.
Innosler ärgern stand auf dem Tagesplan .
Don-Esteban
och
ehe der eben durch die Eingangshalle laufende Hohepriester etwas sagen
konnte, war das Tor wieder zugeschlagen. "Was sucht dieser Faulpelz
denn außerhalb des Kastells?" Mit zusammengezogenen Augenbrauen
eilte Don-Esteban hinterher, ließ sich das Tor öffnen, als
er den Gang durcheilt hatte und trat ins Freie. Wohin hatte sich sein
Schüler gewandt?
Arctus
urch
das Geräuschwirrwarr der Welt krachte plötzlich etwas, was
nicht so klang wie die anderen Geräusche.
Verwundert drehte sich Arctus um; es schien hinter ihm gekracht zu haben;
und tatsächlich. Das Tor des Kastells war ein weiteres Mal zugefallen
und vor ihm stand nun, imposant gegen den Wind gerichtet, eine Gestalt,
vollkommen gehüllt in den dunklen Stoff einer Robe.
Ohne jegliche Zweifel erkannte Arctus, dass es sich um seinen Magiemeister
Don-Esteban handelte. Die Hand an die Brust legend, um den sausenden
Puls zur Ruhe zu zwingen, schritt er wieder den Berg hinauf. Ob er wohl
diesmal die Erwartungen seines Meisters erfüllen konnte? Arctus
spürte, wie er innerlich mit jedem Schritt, den er auf den Don
zu tat, verkrampfte, in der Angst wieder einmal den Zorn des Priesters
auf sich zu ziehen. Schnell noch wischte er sich eine Strähne aus
dem Gesicht, blieb dann kurz vor dem Don stehen. Arctus' Unterlippe
bebte etwas. Der sausende Wind schien sich geradezu in seinen Nacken
zu beißen und noch ehe er ein Wort sagte, stülpte er den
Kragen seiner Robe nach oben.
"Hallo", sprach er kurz und bündig, so wie es auch früher
seine Art gewesen war. Nach dem der Don ihn ebenfalls mit einem kleinen
Nicken begrüßt hatte, drehte sich Arctus kurz herum und zeigte
in die Ferne. "Ich wollte etwas draußen Üben, unter
verschiedenen Wetterbedingungen und so weiter."
Kurz stockte er, drehte sich wieder zum Don und fuhr fort, "hab
auch schon mit dem Lesen vom dritten Zauberspruch angefangen."
Arctus Betonung blieb bei Null .
Don-Esteban
"m
Ausreden bist du nie verlegen?"
Don-Esteban sah seinen Schüler kopfschüttelnd an.
"Vielleicht ist es ja wirklich eine gute Idee. Man könnte
hier und da einmal... einige Sprüche ausprobieren.
Komm."
Und gemeinsam verließen sie die Bergspitze, auf der Das Kastell,
breit hingeklotzt, wie eine zu schwere Last, die ein Riese hier für
immer abgesetzt hatte, lag und wanderten gemeinsam den Pfad hinunter,
der an den Fuß des Berges führte.